Die fahrt
Vom Stadthafen Rostock die Warnow abwärts, die Molenköpfe passieren und den Seekanal in Richtung Rügen verlassen. Dort angekommen, nach Vorbeifahrt an Kap Arkona rund 54 sm (ca. 100 km) Kurs Richtung SSO, und schon ist man in Świnoujsćie. So könnte die zusammengefasste Route unserer Hinfahrt in den Vorhafen der Metropole Stettin lauten.
Am 14. August 2019 machen wir in Rostock am angestammten Liegeplatz los und fahren den oben beschriebenen Weg unter dem Kommando von Kapitän Rainer. Es ist ja fast schon ein „Muss“, unsere polnischen Nachbarn zur Sail Świnoujsćie zu besuchen. Nicht das erste Mal macht sich der Drei-Mast-Bramsegelschoner „SANTA BARBARA ANNA“ auf den Weg in die Stadt auf dem östlichen Teil der Insel Usedom. Interessierte Menschen, Besatzungen anderer Schiffe, ein buntes und abwechslungsreiches Programm und nicht zuletzt die sprichwörtliche polnische Gastfreundschaft warten auf uns – wir haben die Einladung dankend angenommen.
Mit einer 6/6 Wache (sechs Stunden Wache, sechs Stunden wachfrei) legen wir die Strecke zurück, zumeist unter Segeln. In einer Schauerbö zeigte die Logge sogar 8,2 Knoten an, ein wahrhaft respektabler Wert! Wir fahren die Segel als Schmetterling gesetzt Richtung Rügen. Leider flaut der Wind zunehmend ab, so dass wir ab Donnerstagmorgen allein unter Segeln kaum noch Fahrt über Grund machen. Es hilft nichts, das „Unterwassersegel“ muss gesetzt werden, und so läuft dann die zuverlässige Maschine, um uns dem Ziel näher zu bringen. Bei der Wachübernahme um 06:00 h sind wir auf Höhe der Stubbenkammer von Rügen. Die Sonne kommt durch die Wolken und lässt uns ein nicht alltägliches Kreideglühen erleben!
Kurs 155° – wir bergen die letzten Segel, denn der Wind kommt mittlerweile genau von vorn. Zeitweise sitzt ein kleiner Grünfink in der Takelage, wir nehmen ihn gerne mit!
Wir erreichen unser Ziel rechtzeitig, um am Donnerstagnachmittag an der Crew-Parade im Rahmen der Sail Świnoujsćie teilnehmen zu können. Mannschaften aus Polen, den Niederlanden und Deutschland folgen den Musikerinnen und Musikern der Częstochowa Pipes & Drums. Es ist nach eigener Beschreibung das einzige Orchester in Polen, das traditionelle schottische Musik auf den Great Scottish Bagpipes aufführt. Nebenbei bemerkt, Tschenstochau liegt fast 500 km Luftlinie von Świnoujsćie entfernt! Am Marktplatz werden alle Teilnehmenden, natürlich auch die Mannschaften der anwesenden Schiffe, vom Bürgermeister herzlich begrüßt.
Die Sail Świnoujsćie
Es ist klein, aber fein, dieses Seglertreffen, das unsere polnischen Nachbarn alljährlich organisieren. An Land laden Stände mit leckeren Köstlichkeiten, mit Handwerkskunst und natürlich auch mit Jahrmarktgedöns zum Bummeln, Verweilen, Schauen und Kaufen ein. Alt und Jung passieren die „SANTA BARBARA ANNA“ bei ihrem Gang über die Kaimauer und sehr viele Interessierte besuchen uns beim open ship.
Bereits am zweiten Tag, dem Freitag, sind alle Mannschaften der anwesenden Schiffe zur Crew-Party im Fort Anioła eingeladen. Wir erleben polnische Gastfreundschaft: Freundliche Menschen, die uns willkommen heißen, leckeres Essen, temperierte Getränke, eine Wohlfühlatmosphäre bei loderndem Feuer.
In den drei Tagen unserer Anwesenheit bieten wir jeweils drei gut besuchte Ausfahrten an. Jeden Tag drei Mal ablegen, drei Mal Segel setzen, drei Mal Segel bergen, drei Mal anlegen. Die geschulte Crew der „SANTA BARBARA ANNA“ bietet ihren Gästen ein solides Programm gestandener Seemannschaft. Helfende Hände der Mitsegler sind natürlich wie immer sehr willkommen.
Mittlerweile ist eine Sicherheitsunterweisung für die Gäste Pflicht. Aber wir haben ja Erwin an Bord, der diese Unterweisung in drei Sprachen anbietet! Dabei unterstützt ihn Dorian als Rettungswesten-Model. Jedes Mal erhält Erwin den Applaus der Anwesenden, vollkommen zu Recht!
Es ist sehr beachtlich, dass es sowohl beim open ship als auch bei den Ausfahrten immer ein sehr gemischtes Publikum gibt: Jung und Alt, alle Nationalitäten. Beliebt bei den mitfahrenden Kindern ist natürlich der Stempel der „SANTA BARBARA ANNA“. Ich drücke ihn mehrfach auf Kinderhände – und auch auf die der Eltern. Dazu immer den Hinweis „Bitte zwei Wochen nicht waschen…“
Am dritten Tag folgen wir der „Kapitan Borchardt“, welche die Flottillenfahrt in See anführt. Alle Schiffe haben über die Toppen geflaggt. Bei der Rückkehr in den Hafen lässt es sich der Lotsenkreuzer nicht nehmen, in Schlangenlinien zwischen den langsam fahrenden Seglern ordentlich Welle zu machen – schließlich sollen die Gäste auch mal „Seegang“ erleben. Am Abend erfreut uns und alle Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung ein tolles Höhenfeuerwerk.
Es sei mir gestattet, ein persönliches Erlebnis wiederzugeben. Beim open ship stehe ich an Deck, als ein kleiner Junge aus Świnoujsćie mit seinen beiden jüngeren Geschwistern auf mich zukommt. „Do you speak English?“ fragt mich der ungefähr 11-Jährige Pole. Als ich bejahe, fragt er mich ohne Ende. „Ist das da hinten ein Sandsturm?“ möchte er wissen, indem er Richtung Norden zeig. „Nein, eher nicht, das ist die Sonne hinter einer Schlechtwetterfront!“ antworte ich. Wir gehen über alle Decks, ich zeige ihm den Kartenraum, erkläre ihm die Seekarte, das AIS und und und … Er ist sehr wissbegierig und seine beiden jüngeren Geschwister folgen ihm. Alle drei lassen sich natürlich auch das „Tattoo“ der „SANTA BARBARA ANNA“ geben. Vielleicht wurde so ein kleiner Junge aus Świnoujsćie ein begeisterter Fan des Drei-Mast-Bramsegelschoners!
Die Rückreise
Wegen der zu erwartenden Windverhältnisse treten wir bereits am Sonntag die Rückreise an. Mit allen Händen setzen wir die Segel, die wir leider wegen der Windverhältnisse bald darauf wieder bergen müssen. Die nächste Wache zieht das Tuch wieder hoch, aber ab Kap Arkona ist doch wieder die Maschine gefragt. Als wir dann Kurs Westen nehmen, kommt der Wind wieder mal direkt von vorne – Segeln leider nicht möglich! Die „SANTA BARBARA ANNA“ schaukelt mit der aufgehenden Sonne von achtern durch die Wellen. Bald sehen wir die Silhouette von Warnemünde und fahren in Richtung Heimathafen, wo wir am frühen Morgen des 20.08.2019 anlegen.
Immer wieder gerne, Świnoujsćie!