Besuch im Baltikum

Richtung Klaipeda

Die Musik ist verklungen, die letzten Gäste der Port Party am 21. Juli 2019 in Warnemünde verlassen die Pier und fleißige Hände verwandeln den Drei-Mast-Bramsegelschoner „SANTA BARBARA ANNA“ von der schwimmenden Bühne wieder in ein seetüchtiges Segelschiff.

Nachdem alle 19 Crew-Mitglieder an Bord gekommen sind, werden die Leinen losgeworfen und die „SANTA BARBARA ANNA“ macht sich auf zum längsten Törn der Saison. Unter dem Kommando von Kapitän Peter nimmt das Schiff Kurs auf das rund 350 Seemeilen (fast 650 km) entfernte Klaipeda in Litauen, wo wir am Klaipeda Sea Festival teilnehmen werden

Wir passieren das Molenfeuer von Warnemünde, verlassen den Seekanal in östliche Richtung und setzen mit allen Händen Segel. Auf der Höhe von Graal-Müritz geht ein blutroter Mond über Land auf – ein erster Eindruck der kommenden Himmelsschauspiele. Wir segeln Richtung Osten und kommen ganz gut voran. Ich bin in die erste Wache eingeteilt und übernehme das Ruder. Mit Hilfe des gestandenen Fahrensmanns Rolf bekomme ich schnell ein Gespür für die Führung des Schiffes.

Auf unserem Weg nach Klaipeda sind unterwegs zahlreiche Segelmanöver durchzuführen; Wenden und Halsen fordern nicht nur die Wache, die wachfreie Besatzung packt ebenso tatkräftig mit an. Leider flaut der Wind auf dem Weg in die litauische Hafenstadt unterwegs ab, so dass wir Teilstrecken mit Maschinenkraft zurücklegen müssen. Wir hätten Rasmus zu Beginn der Reise vielleicht auch Tribut zollen sollen …

Vier Tage auf See. Wachsystem 4/8. Rudergänger. Ausguck. Backschaft. Frischen Kaffee und Tee für die folgende Wache. Sternenhimmel. Kurs halten, alle Hände an Deck – Seemannschaft, wie sie auf einem Traditionssegler wie der „SANTA BARBARA ANNA“ gelebt wird. Die Mannschaft versteht sich, es läuft. Für mich als Trainee auf dem ersten Mehrtagestörn ein schönes Erlebnis.

Die litauische Hafenstadt

Am Donnerstag laufen wir in Klaipeda ein. Nachdem uns im Briefing die Aktivitäten der nächsten Tage mitgeteilt werden, haben wir Zeit zur freien Verfügung. Einige Crew-Mitglieder nutzen wie auch an den Folgetagen die Möglichkeit, auf die Kurische Nehrung überzusetzen und die Gegend zu erkunden.

Unsere Schiffsbetreuerin Rasa, eine junge Litauerin, die uns während der ganzen Zeit in Klaipeda hilfreich zur Seite steht und für die kleinen und großen Anliegen immer ein offenes Ohr hat, führt uns durch die Altstadt von Klaipeda. Altbauten mit Fachwerk, kopfsteingepflasterte Straßen und Gassen, Kneipen, Restaurants … es gibt viel zu sehen und zu entdecken. Schon jetzt ist zu bemerken, dass sich Klaipeda intensiv auf das jährliche Sea Festival vorbereitet hat: Stände werden aufgebaut, Ännchen von Tharau steht nicht mehr allein auf dem Brunnen vor dem Theater, Leckereien werden angeboten – rundum geschäftiges Treiben.

Die „SANTA BARBARA ANNA“ ist ein Blickfang, das stellen wir auch in Klaipeda wieder fest. Sehr viele Besucher schauen sich an allen Tag beim open ship das Schiff an und lassen sich Details erklären. Zeitweise werden wir fast überrannt, so dass die geplanten Zeiten für die Besichtigung sehr ausgedehnt werden – was wir für die vielen Interessierten sehr gerne machen.

Am nächsten Tag, am Freitag, bekommen wir direkt neben uns an der Pier liegend „Konkurrenz“. Das kolumbianische Segelschulschiff „Gloria“ läuft bei strahlend blauem Himmel in prachtvoller Weise in Klaipeda ein. Ein Teil der Besatzung steht auf den Rahen. Gekrönt wird das Ganze von lautem Gesang: „Ahoi, Capitan…“ Ein wahrhaft beeindruckender Anblick!

Kurz nach dem Anlegen des kolumbianischen Seglers sind die ersten Besatzungsmitglieder bei uns an Bord zu Besuch und laden uns zum Gegenbesuch ein. Nach einem Rundgang auf der „Gloria“ werden wir sogar vom Kommandanten empfangen, der uns den Offiziersbereich des Schiffes zeigt. Beim Besuch der Offiziersmesse habe ich beim Blick auf die gedeckten Tische das Gefühl, in einem 5-Sterne-Restaurant zu sein. Nebenbei erfahren wir vom Kommandanten, dass die „Gloria“ auf ihrer Reise von Boston nach Saint Malo 2007 Seemeilen ausschließlich unter Segeln gefahren ist, eine tolle Leistung.

Das Sea Festival

Am Nachmittag bereiten wir uns auf einen der Höhepunkte des Sea Festivals vor: Die Parade durch Klaipeda. Wir marschieren der Fahne Rostocks folgend zum Startpunkt. An dem Umzug sind rund 800 Teilnehmende beteiligt, und wir gehören dazu! Es ist ein überwältigendes Gefühl, durch die Straßen von Klaipeda zu ziehen, die von Abertausenden winkenden und applaudierenden Menschen gesäumt sind. Selbst auf den Dächern stehen Zuschauer, die uns zuwinken.

Wieder am Liegeplatz angekommen, geht es mit dem open ship weiter, und das Interesse ist wiederum sehr groß. Ich komme mit drei jungen Leuten aus Klaipeda in ein längeres Gespräch und stelle fest, dass die Probleme der Jugendlichen hier identisch mit den der Jugend bei uns im Land sind: Fehlende Arbeitsmöglichkeiten, geringe Attraktivität des Standorts – dass sind die Hauptgründe, warum es die jungen Menschen eher in die größeren Städte Vilnius oder Kaunas zieht.

Am Samstagvormittag formieren sich zur Mittagszeit die teilnehmenden Schiffe zur Flottenparade. Angeführt von einem Schiff der litauischen Marine, an dessen Bord sich zahlreiche hochrangige Vertreter aus verschiedenen Nationen befinden, geht es in das Seegebiet vor Klaipeda. Dort werden im Gedenken an die auf See Gebliebenen Blumenkränze zu Wasser gelassen, ein sehr würdiger Augenblick.

Peter und Frank gehen am späten Nachmittag zum Empfang des Bürgermeisters, bei dem auch der neue litauische Staatspräsident anwesend ist. Die Mannschaft der „SANTA BARBARA ANNA“ teilt sich für den Abend in zwei Gruppen für die Crew-Party. In einer nahegelegenen Helling ist für die Mannschaften der teilnehmenden Schiffe ein Bereich abgegrenzt. Leider ist auf dem Gelände eine große Leinwand aufgestellt, auf die das Geschehen der nicht allzu entfernten Show-Bühne übertragen wird – einschließlich der entsprechenden Beschallung. Aufgrund des Schallpegels ist es schier unmöglich, sich mit den anderen Crews zu unterhalten, zumal noch Sprachbarrieren existieren. Somit bleibt jede Mannschaft fast unter sich – schade!

Das Programm geht am Sonntag weiter. Ab mittags haben wir einen Törn unter Segeln mit rund 40 Gästen. Auf der Fahrt bekommen wir Dank der Darbietungen einiger Frauen einen kleinen Eindruck von der litauischen Sangesfreude. Kaum haben wir wieder an der Pier festgemacht, folgt das nächste open ship mit einer überwältigenden Zahl von Gästen. Abends, wir sitzen an Deck und lassen den Tag ausklingen, besucht uns unerwartet „unser“ Lotse, der uns auf unseren Ausfahrten sicher geleitet hat. Seinem Wunsch entsprechend darf er mit seiner großen Familie an Bord, wo wir uns angeregt unterhalten.

Abschied von Klaipeda - Kurs Simrishamn

Am nächsten Tag heißt es Abschied nehmen von Klaipeda. Geleitet von „unserem“ Lotsen verlassen wir die gastliche Stadt und sagen „Ačiū, Klaipeda“!

Nachdem der Lotse von Bord gegangen ist, setzen wir alle Segel und nehmen Kurs nach Westen. Die Wettervorhersage verheißt uns Winde aus NO/NNO mit einer Stärke von 4 – 5 Bft, für den folgenden Tag NO zunehmend 6 Bft. Die Sicherheitsnetze werden festgezurrt und wir bereiten uns auf eine zügige Fahrt vor. An diesem Tag schaffen wir ein Etmal von 76 Seemeilen und kommen somit dem Zwischenziel unserer Rückreise, dem Hafen Simrishamn in Südschweden, ein gehöriges Stück näher.


Die Wellen auf dieser Etappe kommen wie der Wind von schräg achtern. Die „SANTA BARBARA ANNA“ wird angehoben, um ihre drei Achsen bewegt und setzt wieder in die Wellentäler ein. Zur Sicherheit sind auf dem Vorschiff Strecktaue ausgebracht. Nachts bergen wir ein Großteil der Segel und erreichen am Mittwochmorgen unser Ziel. Mit einem gekonnten Manöver legt der Drei-Mast-Bramsegelschoner in dem sehr engen Fahrwasser an. In Simrishamn kommen zahlreiche Einheimische, aber auch Urlauber aus Schweden und Deutschland während des open ship an Bord.

Auch die schönen Tage in Simrishamn gehen zu Ende und so heißt es am Freitagmorgen Segelsetzen mit Kurs Rostock. Dort kommen wir nach einer ruhigen Fahrt am Samstagabend an.

Bilanz

Hinter uns liegen 742 Seemeilen (rund 1.375 Kilometer) in 13 gemeinsamen Tagen. Diese Reise ins Baltikum und nach Südschweden war für die „SANTA BARBARA ANNA“ und die Crew ein bisher nicht bekanntes Erlebnis.

Neben den seglerischen Erfahrungen und dem seemännischen Wissenszuwachs macht folgende Erfahrung für mich genauso den Wert einer solchen Reise aus: Sowohl in Klaipeda als auch in Simrishamn waren wir Botschafter der Hansestadt Rostock und Akteure der Traditionsschifffahrt. Es war schön zu erleben, wie viele Menschen ein echtes Interesse am Schiff und am Leben an Bord haben. Ebenso schön war es zu erleben, dass man unabhängig von der Nationalität miteinander ins Gespräch kommt, sich austauscht. Gerade das Klaipeda Sea Festival atmete für mich den Geist der Internationalität und der Gastfreundschaft. Vielleicht wird der Besuch in der litauischen Hafenstadt fester Bestandteil der jährlichen Törnplanung der „SANTA BARBARA ANNA“…

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